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Sie fahren raus, wenn andere reinkommen, die Männer der DGzRS auf Amrum

DGzRS_20150003Mai 2015 – Amrum:  Meterhohe Wellen, Orkanböen, starker Regen und Dunkelheit –Witterungsbedingungen, bei denen sich kaum noch einer freiwillig vor die Tür wagt und schon gar nicht mit einem Boot in See sticht. Doch auch oder gerade bei derart schlechten Bedingungen geraten Menschen auf Nord- und Ostsee in Not. Schiffe werden von Stürmen überrascht, laufen auf Grund, Seeleute geraten in Seenot oder Menschen auf den Inseln und Halligen müssen aufgrund schwerwiegender medizinischer Probleme auf das Festland. Für diese und andere Fälle sind die Männer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr und bei jedem Wetter bereit mit ihren Schiffen in See zu stechen um anderen zu helfen. Und das bereits seit 150 Jahren. An den Küsten des Landes hat die DGzRS insgesamt sechzig Einheiten stationiert, darunter zwanzig Seenotkreuzer und vierzig Seenotrettungsboote. Wind und Wellen sind ihre Passion, Menschen in Not zu helfen ist ihr oberste Ziel. Rausfahren, wenn andere reinkommen, einsatzklar bei jedem, wirklich jedem Wetter, lautet die Devise der Seenotretter.

Der Liegeplatz im Seezeichenhafen von Amrum

Der Liegeplatz im Seezeichenhafen von Amrum

Auf der Nordseeinsel Amrum ist eine der sechzig Einheiten stationiert. Im Seezeichenhafen von Wittdün liegt der Seenotkreuzer mit dem Namen  „Vormann Leiss“. Seit 2009 liegt der 1985 gebaute Seenotkreuzer auf  der Station Amrum. Der 23,3 Meter lange Kreuzer, der nach der Langeooger Familie Leiss, aus der seit vielen Generationen Rettungsmänner der DGzRS stammen, benannt ist, trotzt seit Jahren Wind und Wellen und brach mit seiner Besatzung zu hunderten Einsätzen auf.

Im 14-Tages- Rhythmus an Bord

Der Maschinenraum der Vormann Leiss

Der Maschinenraum der Vormann Leiss

Angetrieben von zwei 750 kW starken Schiffsdieselmotoren, erreicht der Kreuzer eine Geschwindigkeit von bis zu 20 Knoten und trotzt selbst meterhohen Wellen und Orkanböen. Sven Witzke (40), Lars Peter Jensen (41), Michael Prieg (42) und Maik Danbovski (41) sind vier von insgesamt 18 haupt- und ehrenamtlichen Rettungsmännern auf der Amrumer Station. „Wir sind immer mit vier Mann an Bord“, berichtet Sven Witzke, 1. Vormann auf der „Vormann Leiss“, „im 14-Tages-Rhythmus wechseln wir uns ab.“ Im Ernstfall werden die Seenotretter über Telefon oder Funk alarmiert, sie sind ständig erreichbar.

DGzRS_20150041Innerhalb weniger Minuten ist die „Vormann Leiss“ einsatzklar und das rund um die Uhr. Gewährleistet wird die schnelle Auslaufbereitschaft dadurch, dass die Besatzung des Kreuzers während ihrer 14-tägigen Schicht an Bord lebt. Jedes der vier Crewmitglieder hat seine eigene kleine Kabine, Aufenthaltsraum und Küche befinden sich ebenfalls unter Deck. „Im Ernstfall ist es jedoch nicht nur wichtig, dass wir schnell einsatzklar sind, sondern mindestens genauso wichtig ist es, dass das Schiff schnell auslaufen und sofort unter voller Leistung fahren kann“, erklärt der Maschinist Lars Peter Jensen, „die Schiffsdiesel werden am Liegeplatz ständig auf vierzig Grad vorgewärmt und müssen somit nicht erst warm gefahren werden.“ Gleiches gilt auch für das Tochterboot „Japsand“, welches im Heck der „Vormann Leiss“ untergebracht ist. Von ihrer Station auf Amrum aus sind die Seenotretter innerhalb von 30 Minuten auf Hallig Hooge oder Langeneß, nach rund 45 Minuten in Wyk auf Föhr sowie nach gut einer Stunde in Dagebüll am Festland.

Reinigung und Putzen sind ein Hauptbestandteil der Arbeit

DGzRS_20150018„In der Seefahrt beschäftigt man sich die meiste Zeit mit Instandhaltung und Putzen“, erzählt Vormann Witzke mit einem Lächeln auf den Lippen. Witzke und seine drei weiteren Besatzungsmitglieder verbringen in der Regel vierzehn Tage am Stück an Bord und das 24 Stunden am Tag, kurze Landgänge zum Einkaufen und für andere Dinge sind jedoch möglich. Da es glücklicherweise nicht jeden Tag zu Einsätzen auf der Nordsee kommt, verbringen die Männer die meiste Zeit im Hafen. „Ein typischer Tag beginnt bei uns mit dem gemeinsamen Frühstück um 7.30 Uhr. Um das Schiff ständig einsatzbereit zu halten kümmern wir uns dann um Reinigung und Wartung des Schiffes“, so Witzke. „Mehrmals in der Woche führen wir auch Kontrollfahrten durch, unter anderem schauen wir uns an, wie sich die Wassertiefen an einigen Stellen verändert haben und ob wir mit Mutter- und Tochterboot noch überall durchkommen.“

DGzRS_20150045Das viele Putzen stört keinen von der Besatzung, es gehört einfach dazu. „Man will es ja auch ordentlich haben, schließlich ist das Schiff während unserer Wache Arbeitsplatz und Wohnort zugleich“, erklärt Witzke. Zum festen Tagesablauf gehört auch eine Mittagspause. „Da viele Einsätze besonders in den Abend- und Nachtstunden erfolgen, versuchen wir die tägliche Mittagspause auch einzuhalten um im Einsatzfall auch nachts fit zu sein“, so Sven Witzke. Die vier an Bord der „Vormann Leiss“ sind ein eingeschworenes Team, so wie alle bei der DGzRS auf Amrum. „Man muss sich im Ernstfall ja auch auf jeden Kollegen verlassen können“, erklärt Lars Peter Jensen, „mit den Kollegen an Bord verbringen wir fast mehr Zeit als mit unseren Familien, da ist es auch sehr wichtig, dass man sich untereinander gut versteht.“

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Unterschiedliche Einsatzszenarien warten auf die Männer

Im Jahr 2014 lief die „Vormann Leiss“ mit ihren Besatzungen zu insgesamt 64 Einsätzen aus. Nur in wenigen Fällen handelte es sich dabei um in Seenot geratene Schiffe. Im nordfriesischen Wattenmeer befinden sich neben den größeren Inseln auch etliche Halligen, die nicht über Rettungsdienst und Notärzte verfügen. Verletzte Besatzungsmitglieder auf Schiffen, in Not geratene Wassersportler an den Stränden oder medizinische Notfälle auf Nachbarinseln und Halligen gehören zum Einsatzumfang der DGzRS. „Wir fahren auch relativ viele Krankentransporte im Jahr“, berichtet Sven Witzke, „bei schwerwiegenden medizinischen Notfällen auf den Inseln oder Halligen gibt es oft nur eine Option, der Patient muss in eine Klinik auf dem Festland. Besonders nachts oder bei schlechtem Wetter fahren keine Fährschiffe mehr und auch die Rettungshubschrauber können nicht immer fliegen, in diesen Fällen kommen dann wir ins Spiel“, so Witzke weiter. Die „Vormann Leiss“ bringt in solchen Fällen die Patienten ans Festland und hilft so nicht selten bei einer schnellen medizinischen DGzRS_20150014Maximalversorgung. In vielen Fällen rückt der Kreuzer von Amrum mit zusätzlichem Personal aus. Die Rettungsmänner der DGzRS haben in der Regel keine umfangreiche medizinische Ausbildung, ihre Aufgabengebiete liegen woanders. Wird der Kreuzer zu einem medizinischen Notfall gerufen, so gehen Rettungsassistenten und gegebenenfalls ein Notarzt von der Insel Amrum mit an Bord. Neben der Rettung von Schiffbrüchigen, Verlegung von Patienten oder der Hilfe für in Not geratene Wassersportler sind auch technische Hilfeleistungen ein Bestandteil der Arbeit der DGzRS. „Wir helfen beispielsweise auch Sportbootfahrern mit Motorschaden, die nicht mehr aus eigener Kraft in einen Hafen fahren können“, so Witzke, „diese Hilfeleistungen sind für den jeweiligen Skipper jedoch kostenpflichtig.“

DGzRS_20150006Die Seenotkreuzer der DGzRS, so auch die „Vormann Leiss“, können auch als Feuerwehr auf See fungieren. Kommt es zu einem Feuer auf einem Schiff, so kann die Besatzung mit Hilfe von Wasserwerfern die Brandbekämpfung vornehmen ohne das havarierte Schiff betreten zu müssen. An viele Einsätze erinnern sich die Besatzungsmitglieder auch noch nach Jahren zurück. Besonders Einsätze bei Sturm und Orkan bleiben in Erinnerung. „Wir versuchen immer zu fahren, Orkan und meterhohe Wellen sind generell kein Grund nicht rauszufahren, wir wissen genau, was unser Schiff kann“, erklärt Witzke, „es kann aber mal vorkommen, dass wir bei widrigen Bedingungen nicht mehr alles machen können, was sonst möglich ist. Unser Tochterboot lässt sich auch bei hohem Wellengang zu Wasser lassen, das Aufnehmen nach dem Einsatz gestaltet sich dann jedoch schwierig und es kann vorkommen, dass beide Boote dann nebeneinander in den Hafen fahren und wir das kleinere Tochterboot erst dort wieder aufnehmen können.“

DGzRS_20150016Geburtsthelfer auf See

„Im November 2013 hatten wir einen Einsatz, bei dem wir zu einem medizinischen Notfall auf See gerufen wurden“, erinnert sich Witzke, „auf einem Fischkutter gab es einen Patienten mit starken Schmerzen im Bauch. Auf Amrum haben wir eine Notärztin und den Rettungsdienst aufgenommen und sind in Richtung Fischkutter ausgelaufen. Da dieser seine Netze heruntergelassen hatte, war ein Übersetzen von unserem Boot nicht möglich. Ein angeforderter Hubschrauber der Marine nahm mittels Seilwinde die Notärztin von unserem Boot auf und setzte sie auf dem Fischkutter ab.“ Wie in diesem Fall mit der Marine arbeitet die DGzRS im Einsatzfall mit vielen anderen Hilfsorganisationen und Behörden eng zusammen.

 Maschinist Lars Peter Jensen war sogar schon als Geburtshelfer im Einsatz. „Es muss ungefähr vor sechs Jahren gewesen sein“, erinnert sich Jensen, „wir sollten nachts eine schwangere Frau von Amrum nach Föhr in die Klinik bringen, da bereits die Wehen eingesetzt hatten und keine Fähre mehr fuhr. Mutter, Vater und die Hebamme nahmen wir an Bord und machten uns auf den Weg in Richtung Föhr, beim Anlegemanöver wurde es dann hektisch, das Baby hatte es so eilig, dass es noch an Bord unseres Kreuzers zu Welt gekommen ist.“

DGzRS – überwiegend eine Männerdomäne 

DGzRS_20150007 Nachwuchssorgen bei den hauptamtlichen Mitarbeitern der DGzRS gibt es eigentlich nicht, anders sieht es mancherorts bei den Freiwilligen aus. „An einigen Stationen ist es schwieriger geworden Freiwillige zu finden, die idealerweise bereits über nautische Patente verfügen“, berichtet Sven Witzke, „früher gab es an den Küsten wesentlich mehr Kapitäne, die zur See gefahren sind und sich nebenbei in den Dienst der DGzRS gestellt haben, heute hat diese Zahl stark abgenommen.“ Amrum selbst leidet unter diesem Problem nicht, die Station verfügt über ausreichend freiwillige Rettungsmänner, die die hauptamtlichen an Bord unterstützen. Interessenten sind dennoch immer gerne gesehen, sofern man seefest ist und ein paar Voraussetzungen erfüllt: „Man sollte mindestens den Sportbootführerschein haben und idealerweise bereits über technische oder nautische Patente verfügen“, so Vormann Witzke, „menschlich muss man sehr umgänglich sein und mit Abstrichen in Sachen Privatsphäre umgehen können, da wir hier mit vier Mann vierzehn Tage auf engstem Raum zusammenhocken.“ Frauen gibt es bei der DGzRS unter den hauptamtlichen keine, einige wenige fahren als freiwillige Rettungsfrauen mit, doch ansonsten ist dies eine reine Männerdomäne. Dies hat keinesfalls damit zu tun, dass Frauen für diese Aufgaben nicht geeignet wären, sondern vielmehr mit dem Platzangebot an Bord, es gibt die sanitären Anlagen nur einmal, die rechtlichen Rahmenbedingungen würden für Frauen eine eigene Toilette und ein eigenes Bad fordern, baulich auf dem engen Raum nicht möglich.

DGzRS_20150020 Sven Witzke liebt seinen Beruf. Seit 2007 ist Witzke bei der DGzRS als 1. Vormann auf der Amrumer Station. „Besonders gefällt mir an diesem Beruf, dass man relativ unabhängig ist und sich seinen Tagesablauf nahezu frei einteilen kann“, so Witzke, „wir operieren hier quasi als eigenständige und relativ unabhängige Rettungseinheit.“ So wie Witzke lieben auch die anderen Rettungsmänner der DGzRS ihren Job, Menschen in Not zu helfen für sie die größte Motivation. Sie fahren raus, wenn andere reinkommen, auf Amrum, wie auch an den 54 weiteren Stationen der DGzRS. Das wird auch immer so bleiben, eine Veränderung steht auf Amrum jedoch noch in diesem Jahr bevor, ein neuer Seenotkreuzer wird in Dienst gestellt, größer, schneller und leistungsstärker, gewappnet für die Zukunft.

 (Benjamin Nolte)

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