Reportage: 12 Stunden auf einem Rettungswagen in Flensburg
Ein Tag lang unterwegs mit einem Rettungswagen in Flensburg
Es ist 7.00 Uhr, Flensburg erwacht langsam, die Menschen sind unterwegs zur Schule, Arbeit und Uni. Auch Reent Müller (34) und Björn Petersen (40) sind auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle. Die beiden sind Rettungsassistenten und arbeiten für das Unternehmen Promedica am Standort in Flensburg. Vor ihnen liegt eine 12-Stunden-Schicht auf einem Rettungswagen (RTW).
Beide wissen nicht, was sie erwartet, jeder Tag ist anders, jeder Einsatz unterschiedlich. Komplexe, lebensbedrohliche Probleme können heute auf die beiden warten, ebenso Krankentransporte oder kleine medizinische Notfälle. Wenn Menschen in Not geraten und/ oder medizinische Hilfe benötigen, dann werden Männer wie Reent und Björn gerufen.
Wie oft sie in den kommenden 12 Stunden unterwegs sein werden, wohin und was die beiden vor Ort erwartet, weiß zu Dienstbeginn noch niemand. Während die meisten von uns morgens zur Arbeit fahren und über den Ablauf ihres Tages recht genau Bescheid wissen, so ist der Beruf des Rettungsassistenten doch ein wenig anders. Man lebt den ganzen Tag mit der Ungewissheit, was als nächste kommt und man weiß schon gar nicht wann der nächste Einsatz ruft. Um 7.30 Uhr beginnt die Tagschicht, auf der ich die beiden begleiten werde. Ohne medizinische Ausbildung und Erfahrungen werde ich den beiden zwar nicht direkt helfen können und auch nicht dürfen, Ausrüstung tragen und beobachten wird meine Tagesaufgabe sein.
Fahrzeugübergabe mit der Nachtschicht
Draußen wird es langsam hell an diesem Dienstagmorgen im Februar. Hinter einem großen Rolltor steht er, der Rettungswagen mit der Funkkennung 51/83/02, der Arbeitsplatz von Reent und Björn an diesem Tag. Bevor unser Rettungswagen von der Leitstelle in Harrislee alarmiert werden kann, findet die vorgeschriebene Übergabe des Fahrzeuges von der Nachtschicht statt. Medikamente und Verbrauchsmaterialien werden aufgefüllt und das medizinische Equipment auf Funktionstüchtigkeit geprüft. Björn und Reent übernehmen die Funkmeldeempfänger von den Kollegen, die in der Nacht zuvor Dienst hatten und verstauen ihre Jacken und auch Getränke im Rettungswagen. „Es gibt Tage, an denen wir so viele Einsätze haben, dass wir im Laufe des Tages selten bis gar nicht zurück auf die Wache kommen“, erklärt Reent, „somit sollte man für zwischendurch auch etwas zu Trinken auf dem Auto haben.“
Pünktlich um 7.30 Uhr wird der Leitstelle über eine Statusmeldung des Funkgerätes im Fahrzeug kenntlich gemacht, dass 51/83/02 einsatzbereit ist. Nun kann es jederzeit losgehen. Die Rettungswache Ost von Promedica ist primär für die östlichen Stadteile Flensburgs und das östliche Umland zuständig. Sind die übrigen Rettungswagen der Berufsfeuerwehr im Einsatz, so werden die Fahrzeuge von Promedica aber auch im Übrigen Einsatzbereich des Flensburger Rettungsdienstes disponiert.
„Normale Fahrt Diako“
Um 8.55 Uhr erreicht uns der erste Einsatz. Die Funkmeldeempfänger piepen und vibrieren, auch auf der Wache ertönt ein Alarm und das Faxgerät ist zu hören. Per Fax kommt die sogenannte Alarmdepesche, auf der stehen alle Infos, die die Leitstelle derzeit über den Einsatz hat. „Gynäkologischer Notfall, Blutung“, lautet das Stichwort. Es geht in den Kreis Schleswig-Flensburg. Ohne Blaulicht und Martinshorn, auch das steht auf dem Fax und dem Display des Melders. Der Zustand der Patientin ist nicht so dramatisch, dass eine Fahrt mit Sondersignal notwendig ist. „Auch bei diesen etwas weniger akuten Notfällen beeilen wir uns natürlich“, so Björn Petersen, „wir rücken nach nicht einmal einer Minute aus und machen uns auf den Weg zum Patienten.“
Die Patientin hat Blut im Urin, eingehendere Untersuchungen sind vor Ort in ihrer Wohnung nicht möglich. Reent und Björn überprüfen kurz die Vitalwerte der Patientin und bringen diese dann mit Hilfe eines Tragestuhls in den Rettungswagen. Ihr Zustand ist stabil, sie ist klar und ansprechbar. „Normale Fahrt Diako“, funkt Björn an die Leitstelle. Dies bedeutet: Auch während der Fahrt in die Notaufnahme der Diako nach Flensburg bleiben Blaulicht und Martinshorn aus. „Fahrten mit Sondersignal sind potentiell immer gefährlicher als Fahrten ohne“, so Björn, „wenn der Zustand der Patienten es zulässt und es nicht zeitkritisch ist dann bleibt dieses aus.“
Über das Handbedienteil des im Fahrzeug verbauten Digitalfunkgerätes wird der Leitstelle ständig der aktuelle Status des Rettungswagens mitgeteilt. Mittels der Zahlen 1-8 kann die Leitstelle sehen, was der jeweilige Rettungswagen gerade macht bzw. wo er sich befindet. Die eins steht für „einsatzbereit über Funk“, das Fahrzeug ist also unterwegs, hat aber keinen Einsatz. Steht der Wagen auf „Status 2“, so befindet sich dieser auf der Rettungswache und wartet dort auf den nächsten Einsatz. Mit „Status 3“ signalisiert die Besatzung der Leitstelle, dass sie den Einsatz übernommen hat und auf der Anfahrt zum Einsatzort ist. Dort angekommen drücken die Kollegen die Vier auf dem Handbedienteil. Mit der Fünf wird ein Sprechwunsch übermittelt, der Leitstelle signalisiert man so, dass man über Funk angesprochen werden möchte. Leuchtet auf dem Display in der Leitstelle der „Status 6“, dann ist der jeweilige Rettungswagen nicht einsatzbereit, dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn das Fahrzeug nach einem Einsatz desinfiziert werden muss oder die Medikamente aufgefüllt werden müssen. Ist der Patient am Einsatzort erstversorgt und die Besatzung macht sich auf den Weg in Richtung Zielkrankenhaus, dann drücken die Kollegen den „Status 7“. Am Transportziel angekommen steht als letzter Status in der Reihe die acht.
Kurz vor 10 Uhr haben Reent und Björn die Patientin an das Team der Notaufnahme in der Diako übergeben. Der Tragestuhl wird noch am Krankenhaus desinfiziert und der RTW ist wieder einsatzbereit. Hat die Leitstelle keinen unmittelbaren Folgeauftrag, dann fährt die Besatzung zurück zur Wache und wartet dort auf den nächsten Auftrag. Björn Petersen ist bereits seit sechs Jahren ausgebildeter Rettungsassistent. „Über das Ehrenamt beim DRK bin ich zum Rettungsdienst gekommen“, berichtet er, „mir macht die Arbeit einfach Spaß und ich kann Menschen in Notlagen helfen.“
Transport von Klinik zu Klinik
Zwei Fahrzeuge sind tagsüber an der Rettungswache Ost von Promedica im Einsatz, nachts besetzt der private Rettungsdienst einen Wagen. Das tägliche Einsatzaufkommen variiert. Es gibt Tage, an denen sind beide Fahrzeuge nahezu ununterbrochen unterwegs, aber es kann auch andersherum sein. Medizinische Notfälle in der Bevölkerung sind nicht planbar, mal passiert mehr, mal weniger. Es ist 11.15 Uhr als der nächste Alarm auf der Wache eingeht. Ein Patient muss von der Intensivstation des Franziskus-Hospitals auf die Intensivstation der Diako verlegt werden. Es liegen nur wenige hundert Meter zwischen beiden Krankenhäusern. Für solche Intensivverlegungen kommen ebenfalls die Rettungswagen der Stadt zum Einsatz. Ein Arzt aus dem jeweiligen Krankenhaus begleitet den Transport und übergibt den Patienten an die Kollegen im Zielkrankenhaus. Über Funk erreichen Reent und Björn weitere Infos. Der Patient wird künstlich beatmet, eine Sauerstoffflasche aus dem Rettungswagen muss für den Transport mitgenommen werden. Zusätzlich benötigen die beiden Rettungsassistenten das EKG-Gerät, da Kreislauf und Atmung während des gesamten Transportes überwacht werden müssen.
Am Nachmittag wird es dann dramatisch. Um 14 Uhr geht der nächste Alarm ein, zusammen mit dem ebenfalls alarmierten Flensburger Notarzt eilen wir mit dem Rettungswagen zu einem Patienten mit akuten Thoraxschmerzen. Ein Einsatz bei dem es um Leben und Tod geht. Schmerzen und ein Engegefühl in der Brust veranlassten das Wählen des Notrufes 112. Bei Einsätzen wie diesem wird direkt ein Notarzt mit an den Einsatzort geschickt. „Der Mann hat vermutlich einen Herzinfarkt oder ein Vorstufe von einem solchen“, erklärt Björn während der Anfahrt. Vor Ort geht alles ganz schnell. Reent und Björn nehmen Rucksäcke und medizinische Geräte für die Notfallversorgung mit in die Wohnung des Patienten. Schon vor dem Eintreffen der Notärztin ist der Patient an ein EKG angeschlossen, es wurde ihm ein Zugang gelegt, die Sauerstoffsättigung geprüft und der Blutzucker gemessen. Ein Blick auf das EKG reichte der Ärztin, der Mann schwebt in Lebensgefahr und muss dringend ins Herzkatheterlabor. Über den Zugang gibt die Notärztin dem Mann diverse Medikamente, darunter welche zur Blutverdünnung. Es kommt auf Minuten an, auch wenn es keiner direkt ausspricht, man spürt die Anspannung des Rettungsteams. „Bekommt man die Herzkranzgefäße nicht wieder frei, so sterben immer mehr Teile des Herzmuskels ab“, erklärt mir Björn auf dem Weg ins Krankenhaus. Mit Blaulicht und Martinshorn fährt Björn den Rettungswagen in Richtung Diako. Reent versorgt zusammen mit der Notärztin den Patienten hinten im RTW, sie lassen ihn nicht aus den Augen, haben die Vitalwerte ständig im Blick, stehen bereit um sofort eingreifen zu können, wenn sich der Zustand verschlechtert. Der Mann ist ansprechbar, machte einen recht klaren Eindruck, die gravierenden medizinischen Probleme, die er hat, sieht man ihm nicht an. Nur über das EKG kann man feststellen, dass der Schein trügt. Hinter dem Rettungswagen fährt das Notarzteinsatzfahrzeug um die Ärztin an der Diako wieder abzuholen. Das ist das sogenannte Rendezvoussystem, Notarzt und Rettungswagen fahren getrennt zum Einsatzort, wodurch der Notarzt gegebenenfalls schnell wieder frei, wenn er den Transport nicht begleiten. Dadurch kann dieser schnellstmöglich zum nächsten Einsatz disponiert werden.
Zügig aber sicher steuert Björn
den RTW durch Flensburgs Straßen. Besonders an roten Ampeln verlieren die Retter trotz Martinshorn und eingeschaltetem Blaulicht Zeit. „Oftmals reagieren Autofahrer viel zu spät oder falsch“, erklärt Björn, „man muss auf Einsatzfahrten wie diesen mit allem rechnen.“ Mit ohrenbetäubendem Lärm geht es auf die große ZOB-Kreuzung zu, wir haben keine Vorfahrt, mit dem Martinshorn versucht Björn schon früh den übrigen Verkehr auf den RTW mit dem lebensbedrohlich erkrankten Patienten aufmerksam zu machen. Als ihn alle erkannt haben fährt er bei Rot in die Kreuzung, erreicht rund eine Minute später die Zufahrt zur Notaufnahme der Diako. Den Patienten trennen von der maximalen medizinischen Versorgung nun nur noch wenige Meter. Ärzte und Krankenschwestern warten bereits, der Mann wird umgehend ins Herzkatheterlabor gebracht, nun wird alles versucht um das Herz des Mannes zu retten.
Zeit zum Ausruhen oder den Einsatz Revue passieren zu lassen bleibt dieses Mal nicht. Noch an der Notaufnahme lösen die Meldeempfänger wieder aus. Es geht ins benachbarte Dänemark. In der Gemeinde Bov braucht eine Frau dringend medizinische Hilfe. Viel zu hoher Blutdruck veranlasste den Ehemann zum Wählen des Notrufes. In der dänischen Gemeinde Bov ist die Stadt Flensburg für den Rettungsdienst zuständig. Die Berufsfeuerwehr und eben auch der Rettungsdienst Promedica sind oftmals schneller vor Ort als die dänischen Rettungswagen, die etwas weiter nördlich der Grenze stationiert sind. Eine rund zehnminütige Einsatzfahrt mit Blaulicht und Martinshorn liegt vor Björn und Reent.
Ankunft in der Notaufnahme von Apenrade
Mit Sondersignal bahnt sich der deutsche Rettungswagen seinen Weg durch den Rückstau an der dänischen Grenzkontrolle, fährt ungehindert weiter zum Notfallort. „Ein Arzt kommt nicht hinzu“, teilt die Leitstelle noch über Funk mit. In Dänemark funktioniert der deutsche Digitalfunk nicht, eine Verständigung mit der heimischen Leitstelle ist hier meist nur noch über Telefon möglich. Nach einer Erstversorgung entscheiden sich Reent und Björn die Dame in die Notaufnahme nach Apenrade zu fahren. Dort sollen die Ärzte der Ursache nach dem entgleisten Blutdruck auf den Grund gehen. Über zwanzig Minuten dauert die Fahrt über Dänemarks Straßen bis der Wagen die Notaufnahme der Apenrader Klinik erreicht. Um 15.30 Uhr wird die Patientin an eine Ärztin in Dänemark übergeben, sie hat die Fahrt gut überstanden, der Zustand hat sich nicht verschlimmert.
Etwa eine Stunde später parkt Björn den Rettungswagen rückwärts in der Fahrzeughalle der Rettungswache Ost, das Team von 51/83/02 ist wieder zurück am Standort in Flensburg. Erneut bleibt nur wenig Zeit für eine Pause, es geht wieder los, es blieb gerade einmal Zeit kurz etwas zu Essen und zu trinken. Nach zwei sehr zeitkritischen Einsätzen nun wieder etwas ruhigeres. Eine ältere Dame aus Langballig ist von ihrem Hausarzt ins Krankenhaus eingewiesen worden. Ihr Zustand ließ einen Transport mit PKW oder Taxi nicht zu, somit wurden Reent und Björn mit ihrem Rettungswagen für den Transport alarmiert. Ohne Sondersignal brachten sie die Dame sicher ins Krankenhaus, in dem sie nun weiter versorgt wird. Hygiene wird im Rettungsdienst großgeschrieben, nach jedem Einsatz wird die Trage und/oder der Tragestuhl desinfiziert und mit einem neuen Laken versehen.
Einsätze wie diese sind für die Rettungskräfte nicht unbedingt als langweilig aufzufassen. Sie sind die Abwechslung, die den Beruf so interessant machen. „Einsätze aller Art wechseln sich ab“, berichtet Björn, „es muss nicht immer um Leben und Tod gehen“. Über die Belastung im Rettungsdienst wird immer wieder gesprochen und diskutiert. Auch Björn hat in den sechs Jahren als Rettungsassistent viel erlebt und viel gesehen. „Einsätze mit Toten sind immer unschön, wenn dann noch Kinder involviert sind, dann wird es richtig furchtbar.“ Belastende Einsätze werden im Team besprochen, die Kollegen unterstützen sich gegenseitig und auch die Familien zu Hause geben Halt.
Schichtende für Reent und Björn
Mittlerweile ist es in Flensburg wieder dunkel geworden. Die Tagschicht von Björn und Reent neigt sich ihrem Ende. Als die beiden schon kaum noch mit einem weiteren Einsatz rechnen, lösen die Meldeempfänger um 19.25 Uhr doch noch einmal aus. Der Einsatzort liegt nur 100 Meter Luftlinie von der Rettungswache entfernt. Beim Fußballspielen in einem Indoorspielepark hat sich ein junger Mann an der Hand verletzt, mit dem Verdacht auf eine Fraktur rückt der Rettungswagen an. Dem Mann geht es den Umständen entsprechend gut, er klagt nicht über zu starke Schmerzen, die Hand ist geschwollen, aber auf den ersten Blick wohl nicht gebrochen. Um Röntgenaufnahmen und somit eine genauere Diagnose durchzuführen wird der Mann in die Notaufnahme der Diako gebracht.
Der letzte Einsatz für heute. Wir erreichen gegen 20 Uhr wieder die Rettungswache Ost in der Osterallee, das Fahrzeug wird abgemeldet und für Reent, Björn und mich ist Feierabend. Ein Tag auf einem Flensburger Rettungswagen ist rum, von kleineren medizinischen Notfällen, über Krankentransporte bis hin zu lebensbedrohlichen Herzerkrankungen haben wir alles erlebt. Die Nachtschicht bleibt auf der Wache und hält die Stellung, 51/83/02 wird um 7.30 Uhr wieder in Dienst gehen und Menschen in Notlagen helfen.
(Text und Fotos: Benjamin Nolte)