Pflichtfeuerwehren – wird aus dem Ehrenamt bald ein Zwang?
23. Oktober 2014: Es ist eines der wichtigsten Ehrenämter unserer Gesellschaft, der Dienst in einer freiwilligen Feuerwehr. In Deutschland und somit auch in Schleswig-Holstein wird der Brandschutz in der Fläche nahezu ausschließlich durch freiwillige Feuerwehren gewährleistet. Berufsfeuerwehren gibt es in größeren Städten, doch auch da wird der durch die hauptberuflichen Brandschützer gewährleistete Grundschutz durch freiwillige Feuerwehren verstärkt und aufgestockt. Dieses Prinzip funktioniert seit Jahrzehnten, die freiwilligen Feuerwehren sind in ihren Orten Institutionen, als Gemeindemitglied gehörte es sich einfach in der Feuerwehr aktiv zu werden. Diese Selbstverständlichkeit die örtliche Feuerwehr auf freiwilliger Basis zu unterstützen, gibt es vielerorts längst nicht mehr.
Erste Pflichtfeuerwehr auf Sylt
Erstmals nach dem zweiten Weltkrieg tauchte der Begriff Pflichtfeuerwehr im Jahr 2005 auf der Nordseeinsel Sylt auf. In der Feuerwehr der Inselgemeinde List waren im Frühjahr nur noch 18 Freiwillige übrig, zu wenig um den Brandschutz zu gewährleisten. Eine Lösung musste her und zwar schnell. Der Paragraph 16 im Brandschutzgesetz des Landes Schleswig-Holstein machte es möglich. Der Bürgermeister verschickte Verpflichtungsbescheide an Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde, die laut den Statuten in der Lage sind den Dienst auszuführen. Männer und Frauen zwischen dem 18. und dem vollendeten 50. Lebensjahr wurden verpflichtet. Viele staunten nicht schlecht als ihnen der Bescheid im März 2005 in den Briefkasten flatterte. Zugleich wurde in dem Schreiben ein Ordnungsgeld angedroht, falls man an dem Treffen der eingezogenen Feuerwehrleute nicht teilnimmt.
Wie dramatisch die Lage wirklich war und wieso dieser extreme und zugleich ungewöhnliche Schritt nötig war, das erkannten die eingezogenen Bürger der Gemeinde Sylt nach und nach auch und viele sind auch nach den sechs Pflichtjahren weiterhin in der Gemeindefeuerwehr tätig. Aus dem Zwang wurde dann irgendwie doch wieder schneller als gedacht das Gefühl ein Ehrenamt auszuüben. Und auch heute noch hängt am Gerätehaus in List das Schild: Freiwillige Feuerwehr List.
Folgt in Friedrichstadt eine Pflichtfeuerwehr?
Obwohl die Lage vielerorts ähnlich aussah wie auf List blieb es jahrelang bei dieser einen Pflichtfeuerwehr in Schleswig-Holstein. 2009 kam dann Burg in Dithmarschen hinzu, auch dort konnten man mit den übrig gebliebenen Freiwilligen den Brandschutz nicht mehr gewährleisten und musste mit einer Pflichtfeuerwehr aufstocken. Erneut fünf Jahre später droht in Friedrichstadt nun eine weitere Pflichtfeuerwehr. Laut Feuerwehrbedarfsplan müssten in der nordfriesischen Kleinstadt mir rund 2600 Einwohnern 53 Feuerwehrleute bereit stehen, tatsächlich sind es derzeit wohl nur noch 30. Finden sich hier nicht schleunigst weitere Freiwillige, dann bleibt dem Bürgermeister auch hier nur noch ein Mittel.
Wenn man bedenkt, dass es in Schleswig-Holstein im Jahr 2013 insgesamt 1371 freiwillige Feuerwehren gab, dann ist die Anzahl der Pflichtfeuerwehren im Verhältnis zunächst kein großes Problem. Doch die Lage in vielen Kreisen und Kommunen ist alarmierend. Das weiß auch der Kreiswehrführer Mark Rücker. „Die Situation ist nahezu überall gleich, es gibt sehr starke Wehren, die über eine große Personaldecke verfügen und Wehren die kränkeln und teilweise sogar unter der Mindeststärke liegen“, so Rücker. Problematisch ist die Lage besonders bei den kleineren Wehren in den ländlichen Gebieten. „Viele Gemeindemitglieder haben ihre Arbeitsplätze außerhalb, was sich besonders auf die Tagesverfügbarkeit auswirkt“, erläutert Rücker, „die Alarm- und Ausrückordnungen wurden dem bereits angepasst, die Ausrückradien größer gezogen.“ Schon jetzt müssen also vielerorts, besonders tagsüber unter der Woche, bei Feuern der Kategorie Standard oder selbst bei ausgelösten Brandmeldeanlagen oder Rauchwarnmeldern mehr Feuerwehren ausrücken als noch vor einigen Jahren. Nur so kann gewährleistet werden, dass vor Ort auch ausreichend Hilfe eintrifft. „Nicht nur Personal an sich fehlt bei vielen Feuerwehren, sondern besonders Atemschutzgeräteträger, auch aus dem Grund müssen wir lokal mehr Feuerwehren alarmieren um genügend Geräteträger an einem Brandort zu haben.“
Rückgang der aktiven Mitglieder
Eine Zwangsverpflichtung von Bürgerinnen und Bürgern kann dem drohenden Verlust der Sicherstellung des Brandschutzes mancherorts sicher entgegenwirken bzw. diesen verhindern, doch sieht Rücker in dieser Pflicht auch Probleme: „Man kann natürlich jeden verpflichten, der von Alter und gesundheitlichen Aspekten in Frage kommt, aber das löst nicht das Problem der Tagesverfügbarkeit, denn die wenigsten arbeiten im Einzugsbereich ihrer zuständigen Feuerwehr“. Imagefilme, Informationstage und flächendeckende Mitgliederwerbung sollen in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger wieder ein anderes Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Engagements in der freiwilligen Feuerwehr schaffen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen gleichermaßen Notwendigkeit und Nutzen erkennen. Im Jahr 2005 zählte der Kreisfeuerwehrverband noch 6874 aktive Mitglieder in den 190 freiwilligen Feuerwehren, 2013 waren es noch 6545, die Zahl nimmt also ab. Wie schon erwähnt gilt dieser Trend nicht flächendeckend, es gibt sogar Feuerwehren, die einen Aufnahmestopp ausgesprochen haben, weil zum Beispiel nicht genug Spinte für die vielen aktiven Kameraden verfügbar sind oder das Gerätehaus aus allen Nähten platzt. Jetzt mag vielleicht manch einer denken, eine Zusammenlegung von Ortsfeuerwehren, das wäre doch ein brauchbarer Lösungsansatz. In vielen oder sogar den meisten Fällen nicht so einfach möglich, um die Hilfsfrist von zehn Minuten einhalten zu können, wird die Vielzahl an Standorten benötigt.
Hauptamtliche Kräfte?
„Wird der Trend nicht gestoppt, so steuert man meiner Meinung nach langfristig nicht nur auf Pflichtfeuerwehren hin, sondern vielleicht auch auf hauptamtliche Kräfte in jedem Amt“, wagt Rücker eine Prognose. „Vorstellbar wäre beispielsweise pro Amt eine gewisse Anzahl hauptamtlicher Feuerwehrmänner vorzuhalten, die im Einsatzfall wie eine Berufsfeuerwehr sofort mit einem Fahrzeug ausrücken könnten. Freiwillige Feuerwehren folgen dann diesem Erstangriffsfahrzeug.“ Wenn man diese hauptamtlichen Einsatzkräfte in den Ämtern strategisch gut positioniert, so ließe sich möglicherweise auch die aktuell festgeschriebene Hilfsfrist einhalten. Wie sich die Zukunft der Feuerwehren entwickeln wird ist derzeit offen, mancherorts ist es aber kurz vor zwölf und es muss etwas geschehen.
Alle Fotos sind Beispielfotos und stehen in keinem direkten Zusammenhang mit Überlegungen Pflichtfeuerwehren einzuführen!