Im Einsatz mit dem Flensburger Notarzt (NEF)
Wenn sie alarmiert werden, dann geht es nicht selten um Leben und Tod. Die Besatzung des Notarzteinsatzfahrzeuges, kurz NEF, rückt immer dann aus, wenn zusätzlich zum Rettungsdienst vor Ort ein Arzt gebraucht wird. Wir haben das Flensburger NEF einen Tag lang begleitet und den schmalen Grat zwischen Leben und Tod in der Notfallmedizin hautnah erlebt. Rettungs-assistent Harald Ewers und Notarzt Jonas Rothbarth bildeten an diesem Tag das Team, welches mit dem Flensburger NEF ausrückte. Sie sind Teil eines Pools, bestehend aus 30 Ärzten und 18 Rettungsassistenten, die sich derzeit den Dienst auf dem NEF teilen.
Stationiert ist das Flensburger Notarzteinsatzfahrzeug auf einer eigens errichteten Wache am Franziskus-Hospital in der Dorotheenstraße. Besetzt wird das von der Flensburger Berufsfeuerwehr gestellte NEF immer von einem erfahrenen Rettungsassistenten der Flensburger Berufsfeuerwehr und einem Arzt aus dem Franziskus-Hospital oder der Diako. Als rollendes Rettungsmittel mit gut ausgestatteter Apotheke im Kofferraum und allen notwendigen medizinischen Geräten für die Notfallmedizin steht in Flensburg ein Fahrzeug vom Typ VW T5 zur Verfügung. Ist dieses Fahrzeug zur Reparatur oder Inspektion, verfügt die Flensburger Berufsfeuerwehr über ein zweites Fahrzeug vom Typ BMW X5. Beide Fahrzeuge sind ausreichend motorisiert und verfügen über einen Allradantrieb um auch in unwegsamem Gelände oder im Winter gut voranzukommen. Im vergangenen Jahr wurde das Flensburger NEF 2753 mal alarmiert. „Die Einsatzzahlen sind in den vergangenen Jahren in Flensburg entgegen dem Trend etwas zurückgegangen“, berichtet der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes Dr. Holger Löning, „dies liegt mitunter auch daran, dass in den letzten Jahren ein Notarzteinsatzfahrzeug in Kappeln hinzugekommen ist und wir einen neuen Indikationskatalog in der Leitstelle haben, so dass bei einem Schlaganfall beispielsweise nicht mehr standardmäßig ein Notarzt mit ausrückt.“ Löning geht aber davon aus, dass die Einsatzzahlen aufgrund der demographischen Entwicklung in der Bevölkerung in den nächsten Jahren weiter steigen werden. „Ab 3500-4000 Einsätzen im Jahr kommen wir langsam in die Richtung, wo dann über ein zweites Fahrzeug in Flensburg nachgedacht werden muss.“
Anders als ein Rettungswagen ist das NEF nicht für den Transport von Patienten vorgesehen. Früher fuhr der Notarzt in einem optisch identischen Fahrzeug wie der Rettungsdienst, somit auch mit der Möglichkeit direkt Patienten transportieren zu können. Seit vielen Jahren wird nahezu deutschlandweit das „Rendezvoussystem“ umgesetzt. Dies bedeutet, dass sich Rettungsdienst und Notarzt immer erst am Einsatzort treffen. Die Vorteile liegen auf der Hand: „In den meisten Fällen wird ein Arzt in der Primärversorgung gebraucht, oft aber nicht mehr während des Transportes ins Krankenhaus. Durch das Rendezvoussystem kann der Arzt direkt weiter zum nächsten Einsatz, während der Patient im Rettungswagen durch das geschulte Fachpersonal in die Not-aufnahme transportiert wird“, erklärt Löning. Ist eine Begleitung des Transportes durch den Arzt notwendig, so fährt der Rettungsassistent mit dem NEF hinterher und sammelt den Notarzt am Klinikum wieder ein.
Ein Aufenthaltsraum mit Büro, zwei Ruheräumen, Küche, Bad und Garage, was sich wie eine Immobilienanzeige für eine Einfamilienhaus liest, ist die Ausstattung der NEF-Wache am Franziskus-Hospital. „Oft arbeiten wir Rettungsassistenten in 24-Stunden-Schichten, und somit benötigen wir natürlich auch Ruhemöglichkeiten und einen Aufenthaltsraum“, berichtet Harald Ewers. Ewers ist Oberbrandmeister und Rettungsassistent bei der Flensburger Berufsfeuerwehr. Seit 23 Jahren steht er in Flensburg im Dienste der Stadt, rückt mit der Feuerwehr aus, fährt Rettungswagen und seit 2005 auch das Notarzteinsatzfahrzeug. Erlebt hat Ewers im Laufe der Jahre schon viel. „Man braucht in diesem Beruf auch ein dickes Fell, so dass man nicht alle Einsätze mit nach Hause nimmt“, erzählt Ewers. „Dennoch bleiben einem viele Einsätze in Erinnerung, gerade Fälle bei denen Kinder zu Schaden kommen, sind immer besonders heikel.“
An diesem Morgen dauerte es nur Minuten bis der erste Einsatz kam. Bevor die Funkmeldeempfänger von Rettungsassistent und Notarzt anfangen zu piepen, gibt es auf der Wache eine Art Voralarm. In den Räumlichkeiten und der Garage geht Licht an, aus dem Drucker kommt ein Fax mit ersten Infos zum Einsatz, Sekunden später heulen dann die Pieper los. Gerade nachts soll diese Reihenfolge dafür sorgen, dass man nicht zu unsanft aus der Ruhephase gerissen wird. „Sobald das Licht nachts angeht, werde ich schon wach“, berichtet Ewers, „das ist ganz kurios.“ „Bewusstlose Person“, lautete das Stichwort. Nach wenigen hundert Metern war die erste Einsatzfahrt des Tages beendet, eine Seniorenwohnanlage in der Nachbarschaft war das Ziel. „Leider stehen nicht immer Einweiser unten an der Straße und zeigen uns wo wir hinmüssen“, erzählt Notarzt Jonas Rothbarth. Auch in diesem Fall mussten sich die Retter durchfragen, bis der Patient gefunden war. Für den 60-jährigen Bewohner des Hauses kam die Hilfe durch den Notarzt jedoch zu spät. „Vermutlich lag der Mann schon längere Zeit tot auf seinem Zimmer. Für mich ist unklar, wie lange der Zustand schon bestand“, erklärt Roth-barth. „Der Herr war schwer krank, litt an Krebs und wurde künstlich ernährt.“ Rothbarth stellte einen vorläufigen Totenschein aus und das NEF war wieder einsatzbereit.
Zwischen den Einsätzen verbringt die Besatzung die meiste Zeit auf der NEF-Wache. Einige Ärzte gehen während ihres Dienstes aber auch Bürotätigkeiten im jeweiligen Krankenhaus nach, bei einem Einsatz holt der Rettungsassistent den Arzt dann dort ab. „Jeder Einsatz bringt eine Menge Papierkram mit sich“, erläutert Ewers, „den erledigen wir dann zwischen den Einsätzen.“ Dass man nie weiß, wann der nächste Einsatz kommt, wirkt sich auch auf die Essenszeiten der Besatzung aus. „Man lernt mit der Zeit sein Essen schnell zu essen, so dass man, wenn ein Einsatz kommt, nicht alles stehen lassen muss“, erklärt Notarzt Rothbarth mit einem leichten Grinsen im Gesicht.
Dramatische Minuten in der Bäckerei
Notarzt Jonas Rothbarth war gerade mit dem Mittagessen in der Krankenhauskantine fertig, als der nächste Alarm einging. Wie dramatisch dieser Einsatz werden würde, konnten Notarzt und Rettungsassistent beim Blick auf den Alarmierungstext noch nicht erahnen. Von Bewusstseinsstörungen bei einem männlichen Patienten war die Rede. Eine Minute später rückte das NEF mit dem Funkrufnamen 2/82/2 mit Blaulicht und Martinshorn aus. Über Funk folgten weitere Informationen. „Herz-Kreislauf-Stillstand in Bäckereifiliale, Telefonreanimation eingeleitet“, teilte der Disponent aus der kooperativen Regionalleitstelle in Harrislee mit. Das Stichwort „Telefonreanimation“ bedeutet, dass ein Dis-ponent in der Leitstelle bereits über das Telefon Anweisungen zur Wiederbelebung gibt. Es ging um Minuten und vor allem um ein Menschenleben. Keine fünf Minuten später steuerte Rettungsassistent Ewers den BMW auf den Parkplatz vor der Bäckerei. „Kommen Sie schnell, er sackt uns immer wieder weg“, riefen aufgeregte Kunden dem Notarzt entgegen. Auf dem Boden zwischen Tischen und Stühlen lag ein 73-jähriger Mann, über ihn eine Frau gebeugt, die erschöpft mit der Herzdruckmassage beschäftigt war. Notarzt Jonas Rothbarth übernahm und führte die Reanimationsmaßnahmen fort, erkundigte sich zugleich bei Personal und Augenzeugen, was passiert war. Der ältere Herr sei plötzlich und unvermittelt umgefallen, Puls und Atmung waren nicht mehr vorhanden.
Kurz nach unserem Eintreffen erreichte auch ein Rettungswagen des Rettungsdienstes Promedica den Einsatzort. Drei Rettungsassistenten und der Notarzt arbeiteten routiniert und Hand in Hand, taten alles um den Mann zurück ins Leben zu holen. Minutenlange Herzdruckmassage, unterbrochen vom Einsatz des Defibrillators, Minuten die einem ewig erschienen. Während der Herzdruckmassage wurde der Patient intubiert, beatmet, ein Venenzugang wurde gelegt. Medikamente wie Adrenalin und Blutverdünner wurden dem Mann gegeben. Elf Minuten nach dem Eintreffen des Notarztes ein erster Erfolg, das Herz schlug wieder, der Kreislauf war wieder da, jedoch nur kurz, das EKG zeigte Sekunden später erneut ein Kammerflimmern an. Die Reanimationsmaßnahmen wurden fortgeführt. Alle zwei Minuten tauschten die Einsatzkräfte durch. „Minutenlang eine Herzdruckmassage durchzuführen, ist unglaublich anstrengend“, erklärte Rettungsassistent Harald Ewers. Nach fast 10minütiger Reanimation durch Ersthelfer und 15 weiteren Minuten durch die Einsatzkräfte unterbrach Notarzt Jonas Rothbarth die Wiederbelebung mit den Worten: „Wir haben einen Kreislauf.“ Nun ging alles ganz schnell, Sekunden später lag der Patient auf der Trage, wurde in den Rettungswagen geschoben und ohne Zeit zu verlieren ging es auf dem schnellsten Wege in die Notaufnahme der Diako. Notarzt Rothbarth ließ den Patienten und die Vitalwerte während der Fahrt keine Sekunde aus den Augen. Im Krankenhaus angekommen ging es direkt in den Schockraum, hier wartete bereits ein Ärzteteam der Flensburger Diako um den Patienten zu übernehmen und umgehend weiter zu behandeln.
Ersthelfer als Lebensretter
„An diesem Fall kann man sehen wie wichtig es ist, dass vor Ort jemand anfängt mit der Reanimation“, erzählt Notarzt Rothbarth. „Jede Minute, in der nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand keine Reanimationsmaßnahmen eingeleitet werden, sinkt die Wahrscheinlichkeit zu überleben dramatisch, und bis Hilfe von Rettungskräften vor Ort ist, kann es schon mal 10-12 Minuten dauern!“ Somit übernehmen nicht selten Laienhelfer den wichtigsten Part in der Rettungskette. Bei der Reanimation von Menschen gilt auch der Grundsatz, dass man kaum etwas falsch machen kann. Wirklich falsch ist es nur, nichts zu tun. Durch die sogenannte Telefonreanimation, bei der der Disponent in der Leitstelle dem Anrufer genaue Anweisungen gibt, was zu tun ist, können selbst absolute Laien zu Lebensrettern werden. In diesem Fall hat die Ersthelferin, die minutenlang reanimiert hat, alles richtig gemacht, ihr Verhalten war vorbildlich.
Für das Team des Flensburger NEF geht es auch nach einem so dramatischen Einsatz oft direkt weiter zum nächsten. Nicht immer bleibt nach einem Einsatz Zeit das Erlebte zu besprechen. Nachdem alle Medikamente und Ausrüstungsgegenstände wieder aufgefüllt und an ihren richtigen Platz sind ist das NEF Flensburg wieder einsatzbereit. „In einem Fall wie diesem erkundige ich mich im Nachhinein auch über den Zustand des Patienten und den weiteren Krankheitsverlauf. Als Notarzt möchte man dann schon die Ursache für den Herz-Kreislauf-Stillstand wissen“, so Rothbarth. Jetzt, einige Wochen nach dem dramatischen Einsatz in der Bäckerei erreichte uns eine gute Nachricht. Der Patient konnte die Intensivstation bereits verlassen und ist auf dem Weg.